Ein sehr erschöpfter Feuerwehrmann nach einem Brandeinsatz in einem U-Bahn-Tunnel in München. © Thomas Gaulke
München – In der sechsten Folge unserer Feuerwehr-Serie suchen wir nach Antworten. Was wird getan, damit sich Horror-Szenarien nicht im Gedächtnis einbrennen? Und: Haben Ehrenamtler mehr Stress als die Berufsfeuerwehr?
Der Tod des Feuerwehrmanns Michael Herklotz(46) aus Anzing (Kreis Ebersberg) hat viele Menschen bestürzt. In der Folge wollten wir wissen, welche Belastungen die ehrenamtlichen Lebensretter erdulden müssen. Nach unserem Aufruf erreichte uns eine unerwartet große Zahl an Zuschriften, in denen Feuerwehrmänner und -frauen extreme Belastungen schildern, denen sie ausgesetzt sind. Dabei gehen den Feuerwehrleuten längst nicht nur die schlimmen Bilder von Verletzen und Toten an die Substanz. Zunehmend machen den Rettern die mangelnde Anerkennung, die Vorurteile und Intoleranz mancher Bürger, die Anfeindungen im Einsatz sowie die bürokratischen und (kommunal-)politischen Schikanen zu schaffen. Im sechsten Teil unserer Serie geht es darum, wie wichtig Präventionsarbeit für die psychische Verfassung der Einsatzkräfte ist. Außerdem gehen wir Unterschieden zwischen der Münchner Berufsfeuerwehr und der Freiwilligen Feuerwehr der Landeshauptstadt auf den Grund. Ist die Belastung für Ehrenamtler vielleicht sogar höher – oder verhält es sich umgekehrt?
Teil 1 der Serie: Feuerwehrleute packen aus: Das macht uns kaputt!
Teil 2 der Serie: Feuerwehrler: So machen uns Politiker und Bürokratie fertig
Teil 3 der Serie: Feuerwehrleute: Wo bleibt der Respekt für unsere Arbeit?
Teil 4 der Serie: Feuerwehrler: Diese Bilder lassen uns nicht mehr los
Teil 5 der Serie: Feuerwehrler: Verdammte Gaffer! Irre Anfeindungen!
Allein die Anzahl der Einsätze belastet
„Es gibt Bilder, die das ganze Leben lang wiederkommen“, sagt Karl Pieterek, Pressesprecher der Münchner Berufsfeuerwehr. Auch erfahrene hauptberufliche Einsatzkräfte seien davor nicht gefeit. „Wir haben im Jahr über 70.000 Einsätze. Jeder ist allein durch die Anzahl schon belastet.“ Genauso wie der freiwillige habe der Berufsfeuerwehrler ein „Empfinden. Auch in ihm wird eine Reaktion ausgelöst. Er reagiert so wie jeder andere Mensch auch.“ Pieterek berichtet, dass er selbst schon einmal an einer Unfallstelle mit einem verletzten Bekannten war und von Kollegen, die sogar das Burnout-Syndrom ereilt hat.
Um zu verhindern, dass sich Horrorszenarien im Gedächtnis festsetzen oder sogar zu psychischen Erkrankungen führen, leistet das SkB-Team der Brandinspektion München, der sowohl Berufs- als auch Freiwillige Feuerwehr unterstehen, unverzichtbare Arbeit. SkB steht für Stressbearbeitung und kollegiale Betreuung. Das Team besteht aus 37 überwiegend Berufsfeuerwehrleuten, die durch langjährige Erfahrung sowie Schulungen ihren hauptamtlichen und freiwilligen Kollegen ein hilfreicher Ansprechpartner sind. Sie führen Einzelgespräche, beraten aber auch in Einsatznachbesprechungen, die es Pieterek zufolge nach jedem belastenden Einsatz gibt. Es gehe darum, aus eigenen Reihen zu erkennen, wie weit es bei einem Kollegen schon fehle und gegebenenfalls an professionelle Hilfe weiterzuleiten, also beispielsweise zum Psychologen. „Einfach drüber reden: Das ist ein ganz wichtiger Aspekt“, so Pieterek.
„Es ist extrem wichtig, dass Kollegen wissen, ein Team ist da, das notfalls auch mit Blaulicht kommt; zu hören, welche Belastungen es gibt, was ich machen kann, was mir hilft. Das schafft viel Sicherheit“, pflichtet dem Andreas Igl bei. Er ist Stadtbrandmeister und geschäftsführender Referent der Münchner Freiwilligen Feuerwehr. Seit 30 Jahren ist er als Retter im Einsatz. Igl erzählt von einem Selbstmordversuch 1985. Jemand war aus dem elften Stock gesprungen, was zahlreiche Reanimierungsversuche nach sich zog und so auch die Feuerwehrleute albtraumhaften Eindrücken aussetzte. „Damals hat man nicht gewusst, dass es eine akute Belastungsstörung gibt. Heute beschäftigt man sich damit.“ Igl ist froh, dass es das SkB-Team gibt, „aber wir brauchen es zum Glück nicht so wahnsinnig oft.“ In den vergangenen drei Monaten habe es seitens der freiwilligen Feuerlöscher drei Anfragen auf ein Beratungsgespräch mit dem SkB-Team gegeben. Die Arbeit der Beratungsmannschaft basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen: Sie stützt sich auf die Forschungsergebnisse des Projekts „Prävention im Einsatzwesen“ der Ludwig-Maximilians-Universität.
Haben Ehrenamtler mehr Stress oder die Berufsfeuerwehrler?
Kann man die Belastungen, denen Berufsrettungskräfte ausgesetzt sind, mit denen der Freiwilligen eigentlich vergleichen? Haben Ehrenamtler vielleicht mehr Stress wegen der Doppelbelastung Feuerwehr und Beruf? „Ich würde vorsichtig Ja sagen“, meint Igl. „Man weiß vorher nicht, wann ein Einsatz kommt. Wir haben keine Dienstpläne, man ist 24/7, 365 Tage im Jahr auf Abruf. Man hat zum Beispiel eine schwierige Phase mit der Lebensgefährtin und ein wichtiges Gespräch mit ihr. Dann geht der Piepser. So etwas ist enorm belastend. Einer meiner letzten Einsätze war am 24. Dezember um 18.15 Uhr. Da war meine Familie dann auch nicht erfreut.“ Igl weiß von zahlreichen privaten Problemen: „Das Umschalten von privat auf Arbeit ist mental und körperlich sehr anstrengend. Das gibt es bei der Berufsfeuerwehr in diesem Maße nicht.“ Denn die habe Schichtdienste, während der man wisse, dass jederzeit ein Anruf kommen kann.
Karl Pieterek, Pressesprecher der Münchner Berufsfeuerwehr, sieht das ein wenig anders. Auch bei der Berufsfeuerwehr „zieht sich das Privatleben mit rein“. Während der Schicht warte man nicht auf den nächsten Einsatz, sondern arbeite zum Beispiel in der Pressestelle. „Dann wird man weggeholt und lässt alles liegen und stehen. Da ist dann auch Adrenalin im Blut.“
Die Bedingungen für Ehrenamtliche seien immer schwieriger geworden, erklärt hingegen Igl. „Die Menschen haben insgesamt weniger Zeit und vor allem weniger variable Zeit.“ Das mache das Planen nicht gerade einfacher. Hinzu komme, dass man als freiwilliger Feuerwehrmann eigentlich nahe am Gerätehaus wohnen sollte.
In München gibt es davon 22. „Hier ist es aber schwierig, überhaupt eine Wohnung zu finden, und dann auch noch in der Nähe. Das ist eine schwierige Situation: Verzichte ich wegen der Nähe auf Lebensstandard, oder nehme ich doch lieber das Kinderzimmer dazu und ziehe weiter weg?“ Nachwuchsprobleme habe man bei der Freiwilligen Feuerwehr deshalb aber nicht. „In den absoluten Zahlen haben wir keine Probleme. Wir werden sogar ständig größer. Wir haben aber oft Leistungsträger, die wir nach Fürstenfeldbruck oder Rosenheim verlieren. Mir wäre lieber, die Leute zu behalten und nicht nur anzulernen.“ Was aber aufgrund der Wohnungssituation in München oft nicht der Fall ist.
Münchner Rettungskräfte brauchen höhere Ausbildungsstandards
München ist eine große Stadt mit vielen Hochhäusern, Straßentunneln und der U-Bahn. Das setzt für die ehrenamtlichen Feuerwehrleute höhere Ausbildungsstandards voraus als für Rettungskräfte auf dem Land. „Wir können und müssen mit der Berufsfeuerwehr auf Augenhöhe arbeiten“, sagt Igl. „Es ist ein technischer Standard für beide. Es gibt 58 Einsatzfahrzeuge in München, auf die beide zugreifen.“ Die Infrastruktur der Großstadt erfordere andere Einsatzkonzepte. In München müsse zum Beispiel jeder Feuerwehrler einen Pressluftatmer bedienen können, was im Landesschnitt nur um die 20 Prozent könnten. Eine umfassendere Grundausbildung sei die Voraussetzung, um in München überhaupt mitmachen zu dürfen.
Auf dem Land nimmt einem die Bürokratie keiner ab
In Teil 2 unserer Serie haben Feuerwehrmänner ihren Unmut über bürokratische und kommunalpolitische Schikanen geäußert. Nicht so in München. Dort hat die Brandinspektion eigene Fachabteilungen, die sich um Antragsstellungen kümmern – auch die der Freiwilligen Feuerwehr. Eine große Erleichterung, wenn man bedenkt, dass ein neues Fahrzeug um die 100 Beschreibungsseiten voraussetzt.
Arbeit, die den Ehrenamtlern auf dem Land keiner abnimmt. “Für kleinere Feuerwehren ist das schon eine andere Qualität“, weiß Pieterek. Dennoch: Auch in München sind die Anträge aufwändig. Igl: „Es ist alles sehr stark formalisiert. Das sind EU-weite Ausschreibungen. Manchmal sind Kollegen schon verzweifelt.“ Zumal die Kommunikation mit der untertags erreichbaren Stadtverwaltung nicht so leicht zu bewerkstelligen sei – denn untertags gehen die ehrenamtlichen Feuerlöscher ihrem Beruf nach.
Quelle: tz / Merkur Online
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